|
||||
|
||||
Teil II: die Entwicklung des AikidoMoriheis „neue“ Fähigkeiten sprachen sich sehr schnell herum. Also nahm er infolge viele Herausforderungen an und gab auch Kurse. Nach insgesamt drei Anläufen zog er mit seiner Familie im September 1927 nach Tokyo um dort weiter zu unterrichten. Im Laufe kürzester Zeit musste dort mehrfach das Dojo gewechselt werden, da es dem jeweiligen Ansturm nicht mehr gewachsen war. Im Oktober 1930 stattete Jigoro Kano, der Begründer des Judo, Moriheis Dojo in Mejiro einen Besuch ab. Kano lehrte seine Schüler u. a. den Grundsatz: „Verneige dich vor deinem Gegenüber, wenn er vor dich tritt - schicke ihn auf seinen Weg, wenn er dich verläßt," und als er sah, welche Art von Budo Ueshiba praktizierte rief er aus: „Das ist ideales Budo wahres Judo“ denn hier sah er die wahre Essenz seiner Lehre und bat bescheiden darum, zwei seiner besten Schüler in den Unterricht schicken zu dürfen. Im Laufe der darauffolgenden Zeit wechselten immer mehr Schüler vom Kodokan zum Dojo von Ueshiba, u. a. Gozo Shioda, der einer der besten Uchi deshi Moriheis wurde, Mochizuki Minoru und Tomiki Kenji. So konnte Morihei durch die Vorkenntnisse seiner neuen Schüler sein Aiki weiterentwickeln. (Später, nach Kanos Tod im Jahre 1948, übernahm er die unangefochtene Spitze in der Hierarchie der japanischen Budo-Meister.) Das neue Dojo „Kobukan“ (Kaiserliche Halle der Krieger) wurde im April 1931 in Wakamtsu cho, einem Restrikt Tokyos feierlich eröffnet. Natürlich ließ es sich auch Sokaku Takeda nicht nehmen, seinen ehemaligen Schüler zu diesem großen Ereignis zu besuchen. Allerdings stellten beide schnell fest, dass sich ihre Auffassung zu den Kampfkünsten nunmehr so stark unterschied und so trennten sie sich für immer. Schon im Sommer des darauffolgenden Jahres wurde Morihei zum Chief Instructor der Dai Nihon Budo Seyo Kai (Gesellschaft zur Förderung Japanischer Kampfkünste) ernannt, die unter der Schirmherrschaft der Omoto-kyo-Sekte stand. Der Unterricht im Kobukan war sehr hart und dieser Umstand brachte dem Dojo die Bezeichnung Jigoku dojo (Trainingsstätte der Hölle) ein. Hier suchte er seine Schüler sehr genau aus und jeder dieser Uchi-Deshi bezahlte den Unterricht in bar oder in Form von Lebensmitteln. Weiterhin mussten sie sich jederzeit zu Moriheis persönlicher Verfügung halten: Sie schliefen im Dojo, kümmerten sich um die Wäsche und Hausarbeit oder arbeiteten als seine persönlichen Diener. Bei Abweichungen von seinen Regeln erteilte er scharfe Verweise. Morihei schien in dieser Zeit von Techniken zu träumen, denn er weckte seine Schüler gelegentlich nachts um diese auszuprobieren. Auch die Entwicklung seiner Schwerttechniken hat er in dieser Zeit wieder in den Vordergrund geholt. So wurde im Kobukan noch eine eigene Schwertabteilung gegründet. Der damals 50-jährige unterrichtete bis 1942 außerdem noch an anderen Dojo (Sonezaki dojo, Suida dojo und Otsuka dojo) und entwickelte seine Fähigkeiten beständig weiter. So war er noch in diesem Alter in der Lage, mehrere bewaffnete Gegner mit bloßer Hand zu besiegen. Ueshiba Sensei trainierte in dieser Zeit sehr hart und so berichtete einer seiner Schüler, sie mussten jede Herausforderung annehmen und durften diese auch nicht verlieren. 1933 veröffentlichte er im privaten Kreis sein erstes Lehrbuch „Budo renshu“ um seine Erfahrungen seinen Schülern zugänglich zu machen; mit Erläuterungen zu seiner Kampfkunst-Auffassung dieser Zeit und Zeichnungen einer Schülerin. Deguchi Onisaburo hatte seine Aktivitäten wieder verstärkt: Er verband sich mit ähnlichen Organisationen um seiner Sekte den Rücken zu stärken, baute Waffenlager und gründete paramilitärische Verbände. Also beschloss die japanische Regierung die Macht der Sekte endgültig zu zerstören und stürmte am Morgen des 8. Dezember 1935 den Hauptsitz der Omotokyo, woraufhin Onisaburo und die meisten seiner persönlichen Berater festgenommen wurden. Aufgrund seiner Verbundenheit zu dieser Sekte wurde auch Morihei Ziel dieser Maßnahmen und es wurde am gleichen Tag auch gegen ihn Haftbefehl erlassen. Jedoch hatten einige seiner Schüler einflussreiche Positionen bei der Polizei, die die Staatsanwälte davon überzeugen konnten, dass Meister Ueshiba als Meister der Kampfkünste viel zu wertvoll war um ihn einzukerkern. In der darauffolgenden Zeit wurden alle Spuren des Omotokyo beseitigt, alle dazugehörigen Gebäude dem Erdboden gleich gemacht, die Waffen auf Auktionen versteigert und selbst die Mitglieder verloren zu großen Teilen ihre Arbeitsstellen. Davon hat sich die Sekte nie erholt: sie spaltete sich in mehrere untereinander zerstrittene Splittergruppen. Dadurch und den bevorstehenden Krieg mit China und den Angriff auf Pearl Harbor wurde es insgesamt unruhiger, worauf sich der Aikijutsu-Meister entschloss, die stark überbevölkerte und zudem verwestlichte Hauptstadt zu verlassen, nach Iwama zu gehen und dort ein wenig Land zu erwerben. Nachdem mehrere seiner Schüler an der chinesischen Front gestorben sind und die von ihm gelehrte Kunst vom Militär missbraucht wurde, schränkte Morihei bis 1942 seinen Unterricht am Kobukan soweit ein, dass er die Leitung dessen an seinen Sohn Kisshomaru übertrug: „Harmonie, Liebe und Höflichkeit sind die Tugenden des echten Budo, doch die heutigen Machthaber missbrauchen es zur Zerstörung. Mir bleibt kein anderer Weg, als mich zurückzuziehen, um nicht auch von ihnen missbraucht zu werden," soll er damals gesagt haben. Ueshiba hätte seinen Unterricht jedoch sowieso einstellen müssen, da nach der Niederlage Japans die Alliierten die Kampfkünste verboten haben. Durch diesen Umzug nach Iwama brach für die Entwicklung des Aiki eine neue Ära an: Der Altmeister gab seinem Aikijutsu fernab des weltlichen Geschehens gänzlich andere Inhalte: Schritt für Schritt wurden die extrem körperlich betonten und aggressiv-kriegerischen Aspekte umgewandelt in eine Kampfkunst mit defensivem Charakter, die den inneren Frieden über jede kämpferische Aktion stellte. Er interpretierte diesen Wandel mit den Worten: „Sobald du dich mit dem `Guten´ und `Schlechten´ deiner Mitmenschen beschäftigst, öffnest du in deinem Herzen eine Schwachstelle, durch die Böswilligkeit eintreten kann. Andere zu testen, sich mit ihnen zu messen und sie zu kritisieren, schwächt dich, und bringt dich zu Fall. Dein Geist sollte mit dem Ablauf des Universums im Einklang stehen; dein Körper sollte mit den Bewegungen des Universums harmonieren; Körper und Geist sollten eins sein, vereint mit dem Wirken des Universums." Der Aikidomeister trainierte und meditierte in Iwama oft allein und entwickelte die Kampfkunst, die wir als Aikido kennen und die in der ganzen Welt bekannt werden sollte. Um seiner neuen Kampfkunst-Auffassung Ausdruck zu verleihen, ließ er ein Tempel Dojo (Aiki jinja) errichten, das den Kotodama gewidmet wurde. Quelle: „Unendlicher Friede“ von John Stevens, Werner Kristkeitz Verlag 1987 |